Religionsvertreter diskutieren Umgang mit Hasstexten des Glaubens

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Jerusalemer Erzbischof Pizzaballa erinnert bei Antisemitismus-Konferenz in Wien an Lernprozess der Kirche durch das Konzil - Evangelien bis dahin im Glauben, dass Juden "Gottesmörder" seien, interpretiert - "Erst Konzil hat Augen dafür geöffnet, dass es Kontinuität des Judentums Jesu und seiner Mitmenschen zum heutigen Judentum gibt"

Christen, Juden und Muslime sollen nicht abstreiten und verdrängen, dass in ihren Offenbarungsschriften auch "Hass-Passagen" vorkommen. Wie damit umzugehen ist, war eines der Themen eines interreligiösen Podiums am Montagabend im Wiener Universitätscampus. Es fand im Rahmen der aktuellen Antisemitismus-Konferenz statt, die am Sonntag mit einer Rede des französischen Philosophen Bernard-Henri Levy eröffnet wurde.
Der Jerusalemer Patriarchatsadministrator Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, selbst ein promovierter Bibelwissenschaftler, hob hervor, dass durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) eine "Befreiung" erfolgt sei. Die Evangelien seien bis dahin in dem Sinne interpretiert worden, dass die Juden "Gottesmörder" seien. Erst das Konzil habe die Augen dafür geöffnet, dass es "eine Kontinuität des Judentums Jesu und seiner Mitmenschen zum heutigen Judentum" gebe. Das Konzil habe auch einer freien biblischen Quellenforschung die Tür geöffnet. Man komme dadurch zur Erkenntnis, dass "der Kontext und die literarische Gattung der Heiligen Schrift" wesentlich für ein richtiges Verständnis seien.

Pizzaballa sprach von einer 1.500-jährigen problematischen, antijüdischen Tradition, die sich auf Evangelien und Paulusbriefe stützte. "Die Interpretation dieser Texte kann und muss aber heute viel freier sein als in den vergangenen 1.500 Jahren", so der für Israel/Palästina zuständige Erzbischof.

Er hob aber hervor, dass in den vergangenen 60 Jahren neue Fragen aufgetaucht seien. So seien in Lateinamerika, Asien und Afrika neue Theologien entstanden, die den "eurozentrischen Zugang" zum Christentum in Frage stellten. Diese Theologien wollten auch nicht auf das Problem des Antijudaismus eingehen, und sie fragten: "Warum sollten wir da hineingehen?" Er selbst - so Pizzaballa - stelle die Gegenfrage: "Ist es überhaupt möglich, Theologie zu lehren ohne die vielen europäischen Wurzeln und Irrwege zu beachten?"

Ein weiteres Problem sei der arabische Kontext des Christentums im Nahen Osten. "90 Prozent der Christen in der Region sind Araber", erinnerte der Erzbischof: "Sie leben in einer vom Islam dominierten Kultur. Das hilft natürlich antijüdischen Vorurteilen."

Der arabische und der moderne Antisemitismus seien aber nicht direkt mit dem Christentum verbunden. Die Kirche habe da nur begrenzte Möglichkeiten. Sie könne "ad intra" mit den Seminaristen und Pfarren arbeiten. Entscheidend sei aber die Arbeit "ad extra" zur gegenseitigen Verständigung, in Gemeinschaft mit den Muslimen und Juden, so Pizzaballa.

"Dunkle Seiten der Religionen akzeptieren"

Der evangelische Bischof Michael Bünker betonte, antijüdische Texte des neuen Testaments oder der christlichen Theologie der vergangenen 2.000 Jahre könnten nicht "ausradiert" werden. "Sie sind ein Teil unserer Geschichte." Sie seien aber oft auch "Teil eines innerjüdischen Konflikts".

Grundsätzlich gelte aber, "dass wir nicht die dunklen Seiten unserer Religionen" abstreifen dürfen. "Religionen sind beides: Sie können Förderer der Gewalt und des Hasses sein, sie können aber auch Förderer der Versöhnung und des Friedens sein", so Bünker. Im Konkreten bedeute das auch, dass das Neue Testament "immer kritisch und nie fundamentalistisch" gelesen werden dürfe.

Der argentinische Rabbiner Abraham Skorka, ein enger Freund von Papst Franziskus, äußerte sich zu den dunklen Passagen in der hebräischen Bibel, wo u.a. auch von der Verfluchung der Feinde die Rede ist. Einige dieser auch im katholischen Stundengebet gelesenen "Fluch-Psalmen" werden etwa beim Pessach-Fest gelesen.

Skorka sagte, es stehe jeder Feiergemeinschaft frei, Texte wegzulassen. Er gebe aber immer zu bedenken, dass die Texte anders gelesen werden sollten. "Wir sollen nicht beten, dass Gott die Feinde vernichtet, sondern dass er das vernichtet, was wir als lebensfeindlich und als Bedrohung erleben."

Imam Chalghoumi: "Islam für Europa"

Imam Hassen Chalghoumi, Leiter der Moschee im Pariser Vorort Drancy und Präsident der Konferenz der Imame Frankreichs, betonte bei der Podiumsdiskussion, es sei nicht bestreitbar, dass sich im Koran auch Verdammungsstellen gegen Juden und Christen fänden. Er rate den Verantwortlichen, mit diesen Texten vorsichtig umzugehen, sie sollten auch nicht Kindern im Religionsunterricht beigebracht werden.

Vorrangiges Ziel sollte immer die Herausstellung des Positiven in der Religion und die Zurückweisung des Radikalismus sein, vor allem auch in den sozialen Medien. Er hoffe, dass es einmal dazu komme, dass ein "Islam für Europa" entstehe. "Das ist unser Ziel. Wir arbeiten daran, wir dürfen es nicht aufgeben"", so der Imam.

Moderiert wurde das auf Englisch geführte Gespräch von Lawrence H. Schiffman, Professor für Jewish Studies an der New York University. Seine Universität ist gemeinsam mit der Universität Wien und der University of Tel Aviv für die Organisation der bis Donnerstag dauernden Konferenz - sie trägt den Titel "An End to Antisemitism" - verantwortlich.

Mehr als 150 Forscher sprechen in 16 Sektionen. Den Eröffnungsvortrag am Sonntag hielt der Philosoph Bernard-Henri Levy. Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, Moshe Kantor, richteten Grußworte an die KonferenzteilnehmerInnen. Verlesen wurde auch eine Grußadresse von Papst Franziskus.

Quelle: kathpress